Der Kontenabruf soll Missbrauch bei Bafög & Co verhindern
Am 23. Dezember 2003 hat die deutsche Bundesregierung das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit verabschiedet, um Steuerhinterziehungen einzudämmen. Der Hintergrund zur dieser Gesetzesvorlage lag in der im Volksmund „Dummensteuer“ genannten Steuer auf Kapitaleinkünfte, die nur von sehr wenigen steuerehrlichen Anlegern gezahlt wurde. Die meisten Sparer verschwiegen dem Finanzamt Einkünfte aus Zinseinnahmen und auch bei der Beantragung von Sozialgeldern waren die Antragsteller bei der Angabe von Ersparnissen nicht immer ganz ehrlich. Der Kontenabruf änderte diesen Sachverhalt: Die jährlichen Schäden für den deutschen Staat, und damit für alle ehrlichen Steuerzahler in Bezug auf Steuerhinterziehung und Missbrauch von Sozialleistungen, lagen in Milliardenhöhe und sollten durch das Gesetz verringert werden. Als Entwicklung ist festzuhalten: Die Kontenabfragen durch Bundesbehörden nehmen seit Jahren zu. Im Dezember 2014 hat die Bundesregierung das Gesetz noch einmal bezüglich der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung verschärft. 2020 wurden mehr als 1 Millionen Kontostammdaten abgerufen.
Inhalt
Wann Abfrage der Kontostammdaten?
Damit die Behörden die Ordnungsmäßigkeit der Angaben der Steuerzahler und Antragsteller überprüfen können, wurde der Paragraf 93 Abs. 7 bis 10 in Verbindung mit dem Paragrafen 93 b der Abgabenordnung (AO) neu geschaffen. Seither dürfen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) bei allen Kreditinstituten in Deutschland Bestandsdaten zu Kontoverbindungen und Wertpapierdepots abfragen. Die Abfrage der Kontostammdaten umfasst auch die Zweigstellen ausländischer Banken in Deutschland. Allerdings sind sogenannte Rasterfahndungen nach Steuersündern nicht erlaubt, sondern es muss entweder ein begründeter Verdacht auf eine Straftat vorliegen oder der Kontoinhaber kommt seiner Informationspflicht nicht nach beziehungsweise er hat nachweisbar falsche Angaben gemacht.
Sparer, die in Deutschland mit Tagesgeld oder Festgeld Zinsen erwirtschaften, können die Erträge sowieso nicht mehr vor dem Fiskus verheimlichen. Denn die Banken führen automatisch die relevanten Beträge im Rahmen der Abgeltungssteuer an das zuständige Finanzamt ab.
Diese Daten werden über den automatisierten Kontenabruf weitergegeben
Die Banken und Sparkassen in Deutschland sind verpflichtet, die sogenannten Kontostammdaten ihrer Kunden in einer Datei zu speichern. Diese Datei muss täglich aktualisiert werden. Die Daten werden drei Jahre gespeichert. Zu den Stammdaten, die die Behörden abrufen können, gehören:
- Nachname des Kontoinhabers
- sämtliche Vornamen des Kontoinhabers
- Geburtsdatum des Kontoinhabers
- Kontonummer von Girokonto, Sparkonto, Tagesgeldkonto, Festgeld, Depot und Kreditkonto
- Datum der Kontoeröffnung
- Datum der Kontoschließung, sofern die Kontoauflösung nach dem 1. April 2003 und innerhalb der letzten drei Jahre erfolgte
- Nachname und alle Vornamen eines abweichenden wirtschaftlich Berechtigten
- die Adresse des abweichenden wirtschaftlich Berechtigten
- Nachname und alle Vornamen eines Verfügungsberechtigten
Ein Wertpapierdepot wird wie ein laufendes Konto erfasst. Die einzelnen Kontostände der erfassten Konten oder einzelne Kontobewegungen werden weder gespeichert noch im Rahmen des Kontenabrufs gemeldet. Allerdings können diese Daten aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen von den Behörden separat angefordert werden.
Ablauf
Es gibt keine zentrale Datei, in der die Kontostammdaten sämtlicher Kreditinstitute erfasst sind. Stattdessen hält jede Bank und Sparkasse in Deutschland die Kundendaten in einer Datenbank bereit, wobei diese Datenspeicherung häufig an externe Dienstleister abgegeben wird. So sammeln beispielsweise die Rechenzentren der Bankenverbände die Kundendaten. Die Kosten für diese Datensammlung müssen von den Kreditinstituten getragen werden.
Die Finanzbehörden dürfen im Rahmen von Besteuerungsverfahren eine Abfrage der Stammdaten über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) beantragen. Falls bei einem Steuerzahler sehr hohe Steuerrückstände bestehen, ist der Kontenabruf für das zuständige Finanzamt sogar verpflichtend. Auch verschiedene Sozialbehörden, wie beispielsweise die Wohngeldstelle, die Bundesagentur für Arbeit, die gesetzliche Rentenversicherung oder die Vergabestelle der Studentenförderung BAföG haben das Recht auf einen Kontenabruf über das BZSt.
Gerichtsvollzieher
Gerichtsvollzieher dürfen ebenfalls einen Kontenabruf beantragen. Dazu muss die Anfrage wegen einer Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners notwendig sein und der zu vollstreckende Betrag muss mindestens 500 Euro betragen.
Handelt es sich um eine strafrechtliche Ermittlung, zum Beispiel durch ein Gericht, die Staatsanwaltschaft, die Polizei, den Zoll oder die Steuerfahndung, muss der Antrag auf Kontenabruf an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gerichtet werden. Der Antrag muss auf einem amtlichen Vordruck erfolgen, der auf öffentlich nicht zugänglichen Internetseiten zur Verfügung gestellt wird.
Alle anfragenden Stellen und Behörden dürfen den Antrag auf Kontenabruf erst dann stellen, wenn die betroffenen Kontoinhaber selbst keine ordnungsgemäßen Angaben zu ihren Kapitaleinkünften und Vermögensverhältnissen gemacht haben oder wenn eine Anfrage bei den Kontoinhabern keinen Erfolg verspricht. Ein Kontenabruf ist stellt keinen Verwaltungsakt dar, sondern einen sogenannten Realakt. Daher kann er nicht durch Widerspruch oder Einspruch angefochten werden. Die Finanzgerichte oder ein anderes Gericht kann jedoch die Rechtsmäßigkeit eines Kontenabrufs überprüfen, falls es mithilfe der angefragten Daten zu einem Gerichtsverfahren kommt.
Die Auswirkungen
Der sogenannte Kontenabruf hat seit seiner Einführung dazu geführt, dass in fast der Hälfte aller verschwiegenen Kapitaleinkünfte die Finanzämter eine nachträgliche Steuerzahlung eintreiben konnten. Auch der Missbrauch von Sozialleistungen, wie zum Beispiel BAföG-Zahlungen an Studenten, hat sich mit der Einführung des Kontenabrufs deutlich verringert. Außerdem dient der Kontenabruf der Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche.
Das Bundeszentralamt für Steuern und die BaFin rufen die Kontenstammdaten ab, ohne dass die Kreditinstitute von dieser Abfrage Kenntnis erhalten. Dadurch soll verhindert werden, dass die Banken auf einen bestimmten Kunden aufmerksam werden und eigene Ermittlungen anstellen, die sich auf die Bonität des Bankkunden auswirken können.
Je nach Grund für die Kontenabfrage wird der betroffenen Kontoinhaber entweder vorab über die geplante Abfrage informiert oder er erfährt erst im Nachhinein davon. Selbst wenn durch den Kontenabruf bestätigt wird, dass der Kontoinhaber korrekte Angaben gemacht hat, wird er über den Abruf informiert. Die Information kann zum Beispiel durch eine Anmerkung im Steuerbescheid erfolgen.
Aus den Daten, die die ermittelnden Behörden durch den Kontenabruf erhalten, können sie verschiedene Rückschlüsse ziehen. Erhärten sich Verdachtsmomente zu Steuerhinterziehung oder Sozialmissbrauchs, können die Behörden anschließend die Herausgabe von genauen Kontoständen und Kontoumsätzen verlangen.
Der Kontenabruf weicht das Bankgeheimnis in Deutschland auf
Kritiker des Kontenabrufs weisen darauf hin, dass die Herausgabe der Kontostammdaten das Bankgeheimnis in Deutschland aufweicht. Dazu hat jedoch das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach bestätigt, dass das Kontenabrufverfahren verfassungsgemäß ist. Außerdem werden in Zukunft im Rahmen des „Common Reporting Standard“, der von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erarbeitet wurde und dem bereits mehr als 40 Staaten weltweit zugestimmt haben, noch sehr viel umfassendere Information über die Bankkunden ausgetauscht. Neben den allgemeinen Daten über den Kontoinhaber tauschen die Banken aus aller Welt in Zukunft auch Informationen über Zinseinnahmen, Dividenden und Kursgewinnen aus Aktiengeschäften aus.
Entwicklung
Die Zahlen der Kontenabrufe nehmen seit 2012 deutlich zu. Allerdings nicht bei allen Bundesbehörden in gleichem Umfang. So stiegen die Abrufe durch die BaFin von 2012 mit 13.286 nur auf 13.690 in 2017 (Quelle: BAFIN Jahresbericht 2017). Die starke Zunahme ist durch Finanzbehörden verursacht. Die vom Bundeszentralamt für Steuern gemeldeten Zahl der Kontenabrufe ist von 2012 mit 70.706 auf 692.166 in 2017 gestiegen. Eine Zunahme um 879 %.
Literatur
Bundesfinanzministerium 31.01.2019 – Änderung des Anwendungserlasses:
„Der AEAO zu § 93 wird wie folgt geändert: a) Der dritte und vierte Absatz der Nummer 2.2.7 wird wie folgt gefasst. Da im Vollstreckungsverfahren eine Gefährdung der Ermittlungszwecke zu befürchten ist, wenn der säumige Steuerschuldner vor einem Kontenabruf individuell informiert würde, muss eine Information des Betroffenen vor Durchführung eines Kontenabrufs nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 AO unterbleiben (vgl. § 93 Abs. 9 Satz 3 AO).“
Der AEAO zu § 93 wird wie folgt geändert: a) Der dritte und vierte Absatz der Nummer 2.2.7 wird wie folgt gefasst. Da im Vollstreckungsverfahren eine Gefährdung der Ermittlungszwecke zu befürchten ist, wenn der säumige Steuerschuldner vor einem Kontenabruf individuell informiert würde, muss eine Information des Betroffenen vor Durchführung eines Kontenabrufs nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 AO unterbleiben (vgl. § 93 Abs. 9 Satz 3 AO).
Bundesfinanzministerium – Panama Papers erzeugen beim Bundesfinanzministerium Aktivitäten bezüglich der Kontostammdatenabfrage. Quelle BFM
Bundesjustizministerium – Kontoinformationsverfahren. Quelle BfJ
BaFin 2019 – Rundschreiben 02/2019 (GW) betreffend Drittstaaten, die in ihren Systemen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung strategische Mängel aufweisen, die wesentliche Risiken für das internationale Finanzsystem darstellen (Hochrisiko-Staaten).
Deutscher Bundestag – Anzahl und Entwicklung von Kontoabfragen durch Sozialbehörden. Drucksache 19/26831