Die geldpolitischen Entscheidungen der Europäischen Zentralbank – insbesondere jene zur Festlegung der EZB-Leitzinsen – erfolgen im Rahmen eines formalisierten Abstimmungsprozesses innerhalb des EZB-Rats. Dieses Gremium stellt das zentrale Entscheidungsgremium der EZB dar und ist für die Formulierung der Geldpolitik im Euroraum verantwortlich. Es entscheidet unter anderem über die Höhe der drei maßgeblichen Leitzinssätze: den Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte, den Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität sowie den Einlagenzinssatz. Da diese Zinssätze zentrale Steuerungsinstrumente der Geldpolitik darstellen, kommt der Zusammensetzung und Stimmberechtigung im EZB-Rat besondere Bedeutung zu.

Der EZB-Rat setzt sich aus zwei Gruppen zusammen: Zum einen gehören ihm die sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums an, darunter die Präsidentin, der Vizepräsident sowie vier weitere Direktoren. Zum anderen umfasst er die Präsidenten der nationalen Zentralbanken aller Mitgliedstaaten des Euroraums, derzeit insgesamt 20 Personen. Somit ergibt sich eine Gesamtzahl von 26 Ratsmitgliedern. Allerdings bedeutet die Mitgliedschaft im EZB-Rat nicht automatisch eine ständige Stimmberechtigung bei den geldpolitischen Beschlüssen. Seit Inkrafttreten der Rotationsregel im Jahr 2015 unterliegt die Ausübung des Stimmrechts durch die nationalen Zentralbankpräsidenten einem genau festgelegten Modus.

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Tabelle 1: Stimmberechtigungen bei EZB-Leitzins Entscheidungen

EZB-Direktorium Nationale Präsidenten (20) 5 ständig Stimmberechtigte 11 Stimmberechtigungen (rotierend)
Christine Lagarde Joachim Nagel (Deutschland) Joachim Nagel (Deutschland) Belgien
Luis de Guindos Madis Müller (Estland) François Villeroy de Galhau (Frankreich) Finnland
Piero Cipollone Gabriel Makhlouf (Irland) Fabio Panetta (Italien) Österreich
Frank Elderson Yannis Stournaras (Griechenland) José Luis Escrivá (Spanien) Portugal
Philip R. Lane José Luis Escrivá (Spanien) Klaas Knot (Niederlande) Slowakei
Isabel Schnabel François Villeroy de Galhau (Frankreich) Slowenien
Boris Vujčić (Kroatien) Malta
Fabio Panetta (Italien) Zypern
Christodoulos Patsalides (Zypern) Estland
Mārtiņš Kazāks (Lettland) Irland
Gediminas Šimkus (Litauen) Griechenland
Gaston Reinesch (Luxemburg)
Edward Scicluna (Malta)
Klaas Knot (Niederlande)
Robert Holzmann (Österreich)
Mário Centeno (Portugal)
Peter Kažimír (Slowakei)
Olli Rehn (Finnland)
Pierre Wunsch (Belgien)
Bostjan Vasle (Slowenien)

 

Uneingeschränktes Stimmrecht der Mitglieder des EZB-Direktoriums

Die sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums verfügen stets über ein uneingeschränktes Stimmrecht. Sie nehmen dauerhaft an allen geldpolitischen Entscheidungen teil, um die Kontinuität und institutionelle Stabilität des geldpolitischen Kerns der EZB zu gewährleisten. Anders verhält es sich bei den Präsidenten der nationalen Zentralbanken, deren Stimmberechtigung rotiert – eine Notwendigkeit, die sich aus dem Anwachsen der Eurozone und der damit verbundenen zunehmenden Anzahl von Zentralbankpräsidenten ergibt.

Rotationsregel

Die Rotationsregel teilt die nationalen Zentralbankpräsidenten in zwei Gruppen ein. Gruppe 1 besteht aus den fünf wirtschaftlich und finanziell stärksten Ländern der Eurozone: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande. Diese Gruppe verfügt über vier Stimmrechte, die monatlich zwischen den fünf Mitgliedern rotieren. Gruppe 2 umfasst die übrigen 15 Länder des Euroraums, deren Präsidenten sich elf Stimmrechte teilen. Auch hier erfolgt die Rotation monatlich. Dadurch ergibt sich pro geldpolitischer Sitzung eine maximale Zahl von 21 stimmberechtigten Ratsmitgliedern: sechs Direktoriumsmitglieder, vier Stimmen aus Gruppe 1 und elf Stimmen aus Gruppe 2.

Die Rotation folgt einem transparenten, im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Zeitplan. Jeder nationale Zentralbankpräsident hat unabhängig von der jeweiligen Stimmberechtigung das Recht, an den Sitzungen des EZB-Rats teilzunehmen, Wortbeiträge zu leisten und Argumente einzubringen. Stimmberechtigt sind jedoch nur diejenigen, denen in dem jeweiligen Monat laut Rotationsplan ein Stimmrecht zusteht. Dies soll die Effizienz der Entscheidungsfindung wahren und der Gefahr einer übermäßigen politischen Fragmentierung entgegenwirken.

Die geldpolitischen Beschlüsse des EZB-Rats – etwa zur Erhöhung oder Senkung des Einlagenzinses – werden mit einfacher Mehrheit der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder gefasst. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der Präsidentin. Diese Bestimmung sichert die Handlungsfähigkeit des Rats auch in Situationen kontroverser wirtschaftlicher Lageeinschätzungen. Die Stimmrechte sind dabei strikt personengebunden, eine Delegation an Vertreter ist nicht zulässig.

In der Summe verkörpert die Abstimmungsstruktur des EZB-Rats ein ausbalanciertes Modell zwischen institutioneller Stabilität und nationaler Beteiligung. Sie wahrt einerseits die Effizienz und Entscheidungsfähigkeit eines währungspolitischen Kerns und gewährt andererseits allen Euroländern Mitsprache in der gemeinsamen Geldpolitik – wenn auch rotierend. Damit wird das Ziel verfolgt, die geldpolitische Einheit des Euroraums unter Wahrung seiner vielfältigen ökonomischen Realitäten zu sichern.