Die Bedeutung der Tauben und Falken bei den EZB-Ratsmitgliedern Die geldpolitischen Debatten innerhalb der Europäischen Zentralbank verlaufen nicht einheitlich. Unterschiedliche Auffassungen über den angemessenen Zinspfad führen regelmäßig zu Spannungen im EZB-Rat. Dabei fällt häufig die Unterscheidung zwischen sogenannten „Falken“ und „Tauben“. Diese Begriffe stehen nicht für formale Gruppen, sondern beschreiben die geldpolitische Grundhaltung der einzelnen Mitglieder. Während Falken vor allem auf Preisstabilität pochen und in Zeiten steigender Inflation für höhere Leitzinsen plädieren, setzen sich Tauben eher für wachstumsfreundliche Maßnahmen ein und befürworten niedrigere Zinsen – insbesondere in konjunkturell angespannten Phasen.

Die Begriffe stammen ursprünglich aus der US-amerikanischen Notenbankdiskussion, haben sich aber auch im europäischen Kontext etabliert. Innerhalb des EZB-Rats – bestehend aus den sechs Direktoriumsmitgliedern und den Notenbankgouverneuren der 20 Euro-Mitgliedstaaten – existiert keine formale Stimmgruppenbildung. Dennoch lassen sich durch Äußerungen in Reden, Interviews oder Protokollen klare geldpolitische Tendenzen einzelner Ratsmitglieder erkennen. Das ermöglicht eine Einordnung entlang der Falken-Tauben-Achse.

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Tabelle 1: Einteilung der EZB-Ratsmitglieder nach ihrer geldpolitischen Ausrichtung in Taube und Falke durch die Redaktion

Mitglied Anfang 2025 Taube Falke
Christine Lagarde (EZB-Präsidentin) Ja
Luis de Guindos (EZB-Vizepräsident) Ja
Philip R. Lane (EZB-Direktorium) Ja
Frank Elderson (EZB-Direktorium) Ja
Isabel Schnabel (EZB-Direktorium) Ja
Piero Cipollone (EZB-Direktorium) Ja
Joachim Nagel (Deutschland) Ja
Pierre Wunsch (Belgien) Ja
François Villeroy de Galhau (Frankreich) Ja
Yannis Stournaras (Griechenland) Ja
Gabriel Makhlouf (Irland) Ja Ja
Mário Centeno (Portugal) Ja
Fabio Panetta (Italien) Ja
Klaas Knot (Niederlande) Ja
Robert Holzmann (Österreich) Ja
Edward Scicluna (Malta) Ja
Olli Rehn (Finnland)
Peter Kažimír (Slowakei) Ja
José Luis Escrivá (Spanien) Ja
Christodoulos Patsalides (Zypern) Ja
Mārtiņš Kazāks (Lettland) Ja
Gediminas Šimkus (Litauen) Ja
Gaston Reinesch (Luxemburg) Ja
Boris Vujčić (Kroatien) Ja
Madis Müller (Estland) Ja
— (Slowenien vakant)

EZB-Ratsmitglieder als Falken

Die geldpolitischen „Falken“ innerhalb der Europäischen Zentralbank stehen traditionell für eine restriktive, inflationsfokussierte Haltung. Im Zentrum ihrer Argumentation steht die Wahrung der Preisstabilität – der Gründungsauftrag der EZB. In der Abwägung zwischen Wachstum, Beschäftigung und Inflationskontrolle messen sie letzterer eindeutig die höchste Priorität zu. Diese Haltung geht meist mit einer größeren Skepsis gegenüber unkonventionellen Maßnahmen, niedrigen Zinsen oder Bilanzausweitungen einher.

Falken betonen typischerweise das Risiko einer anhaltend hohen Inflation. Sie fürchten, dass zu niedrige Leitzinsen oder eine zu expansive Geldpolitik das Preisniveau dauerhaft destabilisieren könnten. Deshalb sprechen sie sich in Phasen hoher Inflation für rasche und entschlossene Zinserhöhungen aus. In der Vergangenheit zählten unter anderem Joachim Nagel (Bundesbank), Pierre Wunsch (Belgien) oder Robert Holzmann (Österreich) zu den prominentesten Vertretern dieser Linie. Auch Isabel Schnabel, Mitglied des EZB-Direktoriums, wurde lange dieser Gruppe zugerechnet – obwohl sie sich zuletzt differenzierter äußerte und unter bestimmten Bedingungen eine Zinspause befürwortete. Diese Entwicklung zeigt, dass die Zuschreibungen nicht statisch sind, sondern sich im Zeitverlauf verschieben können.

Historie

Historisch betrachtet hatten die Falken, insbesondere in der Anfangsphase der Währungsunion, ein starkes Gewicht. Die EZB wurde nach deutschem Vorbild konstruiert – unabhängig, mit klarem Inflationsziel und ohne unmittelbare Rücksicht auf fiskalpolitische Belange. Entsprechend prägten Persönlichkeiten wie Axel Weber (ehemals Bundesbank-Präsident), Jürgen Stark (Chefvolkswirt der EZB) oder Jens Weidmann (Bundesbank, 2011–2021) das falkenhafte Profil. Sie standen häufig in Opposition zu den lockereren geldpolitischen Kursen, etwa im Rahmen der Anleihekaufprogramme ab 2015.

Mit der Amtszeit von Mario Draghi (ab 2011) und der geldpolitischen Wende nach der Eurokrise wurden die Falken zunehmend in die Minderheit gedrängt. Doch sie blieben ein strukturelles Gegengewicht – insbesondere im EZB-Rat, wo jedes Land mit seiner nationalen Zentralbank vertreten ist. Länder wie Deutschland, Österreich, die Niederlande und oft auch die baltischen Staaten bildeten den Kern der restriktiven Fraktion.

In den Jahren 2021 bis 2023 – auf dem Höhepunkt der Inflationswelle – erlebten die Falken eine Renaissance. Ihre Warnungen vor zu lang anhaltenden Nullzinsen und expansiven Maßnahmen schienen sich zu bewahrheiten. Der deutliche Anstieg der Verbraucherpreise führte zu einer geldpolitischen Straffung unter EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die – auch im Sinne der Glaubwürdigkeit – nicht ohne Rückhalt aus den falkenfreundlichen Lagern möglich gewesen wäre.

Im Jahr 2025 hat sich die Lage jedoch gewandelt. Die Gesamtinflation ist deutlich gesunken, das Wachstum schwächelt, die Arbeitslosigkeit steigt moderat. Der EZB-Rat hat bereits mehrere Zinssenkungen vorgenommen. Die Falken befinden sich erneut in der Minderheitenposition, treten jedoch weiterhin als mahnende Stimmen auf.

Zu den aktuell einflussreichsten Falken zählen:

Joachim Nagel (Deutschland): Der Bundesbank-Präsident gilt als konsequenter Vertreter eines stabilitätsorientierten Kurses und warnt regelmäßig vor verfrühten Zinssenkungen.
Pierre Wunsch (Belgien): betont die Bedeutung glaubwürdiger geldpolitischer Signale und spricht sich gegen einen zu aggressiven Lockerungspfad aus.
Mārtiņš Kazāks (Lettland) und Gediminas Šimkus (Litauen): treten regelmäßig für Zinspausen oder eine datenabhängige Aussetzung weiterer Lockerung ein.

Ehemalige prominente Falken wie Klaas Knot (Niederlande), Robert Holzmann (Österreich) und Peter Kažimír (Slowakei) scheiden 2025 aus dem Rat aus oder haben ihre Positionen inzwischen abgeschwächt. Damit verliert das falkenorientierte Lager an strukturellem Einfluss – nicht jedoch an inhaltlicher Relevanz.

Falken argumentieren, dass eine zu schnelle oder zu starke geldpolitische Lockerung die Glaubwürdigkeit der EZB gefährde und mittel- bis langfristig neue Inflationsrisiken schaffen könne. Sie verweisen auf persistente Risiken in den Lohnentwicklungen, die Volatilität an den Rohstoffmärkten und geopolitische Unsicherheiten. Besonders die Gefahr von Zweitrundeneffekten – etwa durch überzogene Reallohnsteigerungen – spielt in ihrer Argumentation eine zentrale Rolle.

Auch 2025 bleiben die Falken ein wichtiger Bestandteil des geldpolitischen Diskurses. Zwar sind sie derzeit nicht mehr mehrheitsfähig, doch ihr Einfluss wirkt moderierend und bewahrend. In einem Umfeld geldpolitischer Unsicherheit und divergierender ökonomischer Lagen bleibt ihre Stimme ein Korrektiv – für viele ein Garant, dass die EZB ihren Gründungsauftrag nicht aus den Augen verliert.

Tauben stehen für eine lockere Geldpolitik mit Fokus auf Konjunkturstützung und niedriger Inflation

Im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen die Tauben für eine wachstumsorientierte, eher lockere Geldpolitik. Sie setzen in der Regel stärker auf niedrige Zinsen, quantitative Lockerungen und eine expansive Ausrichtung – vor allem in Phasen wirtschaftlicher Schwäche oder niedriger Inflation.

Historisch gesehen gewannen die Tauben nach der globalen Finanzkrise 2008/09 innerhalb der EZB an Einfluss. Die lange Phase extrem niedriger Inflation, kombiniert mit strukturellen Wachstumsproblemen im Euroraum, führte dazu, dass expansive Maßnahmen wie das Ankaufprogramm für Staatsanleihen (PSPP) oder die Nullzinspolitik unter EZB-Präsident Mario Draghi breite Unterstützung fanden. Auch Christine Lagarde, die 2019 das Präsidentenamt übernahm, setzte diesen Kurs zunächst fort.

Viele der damaligen taubenorientierten Stimmen stammten aus den wirtschaftlich schwächeren Eurostaaten oder aus dem EZB-Direktorium. Ein prominentes Beispiel war Vítor Constâncio, Vizepräsident der EZB von 2010 bis 2018, der in der Öffentlichkeit häufig als Gegengewicht zu den deutschen Falken auftrat. Auch in der wissenschaftlichen und medialen Rezeption wurde das EZB-Direktorium häufig als moderat und pragmatisch dargestellt, während vor allem die Notenbanken aus dem nördlichen Euroraum für eine striktere Linie eintraten.

In den 2020er-Jahren verschob sich das Kräfteverhältnis mehrfach. Während die Phase hoher Inflation ab 2021 zunächst zu einem Erstarken der Falken führte, gewann die taubenfreundliche Fraktion ab 2024 wieder an Gewicht – insbesondere, als die Inflationsraten zurückgingen und die wirtschaftliche Unsicherheit zunahm. Ab 2025 wurde diese Entwicklung zusätzlich durch personelle Veränderungen im EZB-Rat begünstigt: Mit dem Ausscheiden mehrerer falkenorientierter Gouverneure (Knot, Holzmann, Kažimír) entstand eine strukturelle Verschiebung zugunsten derjenigen, die eine vorsichtige, datenabhängige Fortsetzung des Zinssenkungskurses bevorzugen.

Aktuell gelten u. a. folgende Mitglieder als taubenorientiert:

Philip R. Lane (Chefvolkswirt im Direktorium): Er betont regelmäßig die Rolle von Erwartungen und die Bedeutung weicher Landungsszenarien für die Geldpolitik.

Luis de Guindos (EZB-Vizepräsident): vertritt einen balancierten, aber wachstumsfreundlichen Kurs.

Mário Centeno (Portugal), Yannis Stournaras (Griechenland), José Luis Escrivá (Spanien): Diese Vertreter südeuropäischer Länder äußern sich seit Jahren kritisch gegenüber zu restriktiven Zinspfaden.

François Villeroy de Galhau (Frankreich): einer der einflussreichsten Stimmen für eine pragmatische, wachstumsorientierte Linie.

Tauben plädieren in der Regel für ein Vorgehen mit Augenmaß. Sie argumentieren, dass eine übermäßige Zinserhöhung das Wachstum abwürgen könnte, ohne die Inflationsursachen – etwa geopolitische Spannungen oder angebotsseitige Schocks – wirksam zu bekämpfen. Besonders betonen sie auch soziale und fiskalische Aspekte der Geldpolitik, etwa die Auswirkungen hoher Zinsen auf Staatshaushalte, Hypothekenlasten und Investitionsanreize.

Im Jahr 2025 bilden die Tauben – vor allem im Direktorium und in den südeuropäischen Zentralbanken – ein starkes Gegengewicht zu den verbleibenden Falken. Ihre Positionen dürften maßgeblich darüber entscheiden, ob und in welchem Tempo die EZB weitere Zinsschritte unternimmt oder in eine stabilisierende Pause übergeht.

FAQ

Was bedeutet der Begriff „Falken“ im EZB-Rat?

Falken sind Mitglieder des EZB-Rats, die für eine restriktive Geldpolitik eintreten. Sie befürworten hohe Zinsen, um Inflation konsequent zu bekämpfen.

Was sind „Tauben“ in der Geldpolitik der EZB?

Tauben setzen sich für eine lockere Geldpolitik ein. Sie plädieren bei wirtschaftlicher Schwäche oder niedriger Inflation für Zinssenkungen und geldpolitische Unterstützung.

Wer gehört aktuell (2025) zu den Falken im EZB-Rat?

Zu den bekanntesten Falken zählen derzeit Joachim Nagel (Deutschland), Pierre Wunsch (Belgien), Mārtiņš Kazāks (Lettland) und Gediminas Šimkus (Litauen).

Wer sind 2025 führende Tauben im EZB-Rat?

Zu den taubenfreundlichen Mitgliedern gehören unter anderem Philip Lane, Luis de Guindos, Mário Centeno, François Villeroy de Galhau und Yannis Stournaras.

Wie beeinflussen Falken und Tauben die Zinspolitik?

Die geldpolitische Haltung der Ratsmitglieder beeinflusst, ob die EZB Leitzinsen senkt, beibehält oder erhöht. Aktuell dominieren tendenziell die Tauben.