Zentralbankgeld spielt im europäischen Bankensystem eine zentrale Rolle, insbesondere im Rahmen geldpolitischer Steuerung. Geschäftsbanken verwalten ihre Guthaben bei der Europäischen Zentralbank auf Basis von Mindestanforderungen und operativen Erfordernissen. Erst durch die Differenz zwischen bereitgestellter Liquidität und strukturellem Bedarf entsteht, was als Überschussliquidität bezeichnet wird.

ÜberschussliquiditätDarunter versteht man jenen Teil des Zentralbankgeldes, der über die Mindestreservepflicht hinaus im System verbleibt. Diese überschüssige Liquidität resultiert aus geldpolitischen Maßnahmen wie Refinanzierungsgeschäften oder Anleihekaufprogrammen, bei denen der Bankensektor mehr Zentralbankgeld erhält, als zur Deckung des täglichen Liquiditätsbedarfs notwendig ist. Die EZB berechnet sie als Differenz zwischen der bereitgestellten Liquidität und der Summe aus autonomem Liquiditätsbedarf und Mindestreserven.

Ein wichtiger Bestandteil des autonomen Bedarfs sind Bargeldabflüsse sowie Einlagen des öffentlichen Sektors bei der Zentralbank. Diese Abflüsse entziehen dem Bankensystem Liquidität, ohne dass sie geldpolitisch beeinflusst werden. Die daraus verbleibende Überschussliquidität wird in der Regel in der Einlagenfazilität gehalten oder als Guthaben auf Girokonten bei nationalen Zentralbanken belassen. Diese Guthaben beeinflussen die Geldmarktsätze, insbesondere den €STR, und wirken so unmittelbar auf die geldpolitische Transmission.

Faktenbox Überschussliquidität

Überschussliquidität bezeichnet den Teil des Zentralbankgeldes, den Geschäftsbanken im Eurosystem über ihre Mindestreserveverpflichtung hinaus halten.
Verzinsung: Aktuell mit 0,00 % verzinst.

Daher ist es für Banken finanziell vorteilhaft, überschüssige Liquidität in der Einlagefazilität anzulegen, um Zinsen zu erhalten, anstatt sie unverzinst als Überschussreserven zu halten. Dort wird das Geld mit dem Einlagenzins verzinst.

 

Empfehlung: Prognose zum EZB Leitzins, Zinsentscheid der EZB

Insbesondere seit der Finanzkrise 2008 ist die Überschussliquidität stark angestiegen, getrieben durch expansive Maßnahmen der EZB. In der Corona-Pandemie erreichte sie neue Höchststände. Damit wurde sie zum Schlüsselindikator für die geldpolitische Grundhaltung im Euroraum. Ihre Entwicklung signalisiert nicht nur operative Marktverhältnisse, sondern auch das Vertrauen der Banken in alternative Veranlagungen und die Struktur der geldpolitischen Steuerung insgesamt.

 

Verzinsung der Überschussliquidität

Die Verzinsung von Überschussliquidität spielt eine zentrale Rolle im geldpolitischen Steuerungsmechanismus der EZB. Geschäftsbanken können überschüssiges Zentralbankgeld entweder in der Einlagenfazilität oder auf ihren Girokonten bei den nationalen Zentralbanken halten.
Einordnung der Überschussliquidität im EZB Konten-System

Wird die Einlagenfazilität genutzt, erfolgt eine tägliche Verzinsung zum jeweils geltenden Einlagenzinssatz. Dieser bildet zugleich die Untergrenze des geldpolitischen Zinskorridors und beeinflusst direkt die kurzfristigen Geldmarktzinsen. Guthaben, die über die Mindestreserve hinaus auf Girokonten liegen, werden aktuell  gar nicht verzinst. Innerhalb der Mindestreservepflicht hingegen gelten eigene Verzinsungsregeln, die zeitweise auch einen Zinssatz von null vorsehen.

Die Wahl des Ortes zur Anlage überschüssiger Liquidität ist für Banken deshalb nicht nur operativ, sondern auch strategisch relevant. Eine Änderung des Einlagenzinssatzes durch den EZB-Rat hat unmittelbare Auswirkungen auf die Zinserträge der Banken und signalisiert zugleich geldpolitische Kursänderungen.

Tabelle

Ort der Überschussliquidität Verzinsung Bemerkung
Einlagenfazilität bei der EZB Zum offiziellen Einlagenzinssatz Standardweg zur Anlage überschüssiger Mittel über Nacht
Girokonto bei der nationalen Zentralbank (über Reservesoll) Teilweise oder keine Verzinsung (abhängig von EZB-Regelung) Kann vom Einlagensatz abweichen, z. B. bei Staffelmodellen
Mindestreservekonto (innerhalb der Verpflichtung) Verzinsung gemäß Mindestreservesatz (zeitweise 0 %) Kein Teil der Überschussliquidität, aber zur Abgrenzung aufgeführt

Berechnung der Überschussliquidität

Das Eurosystem überwacht regelmäßig den Liquiditätsstatus der Geschäftsbanken. Dabei kommt es auf die Differenz zwischen bereitgestelltem und gebundenem Zentralbankgeld an. Erst diese Differenz wird als Überschussliquidität ausgewiesen.

Die Berechnung erfolgt systematisch und basiert auf drei zentralen Größen: erstens der gesamten Liquiditätsbereitstellung, zweitens dem autonomen Liquiditätsbedarf und drittens der Mindestreserveverpflichtung der Banken. Die EZB definiert die Überschussliquidität als:

Überschussliquidität = bereitgestellte Liquidität – autonomer Bedarf – Mindestreserve

Zur bereitgestellten Liquidität zählen alle geldpolitischen Instrumente, über die den Banken Zentralbankgeld zugeführt wird. Das umfasst sowohl klassische Refinanzierungsgeschäfte als auch strukturelle Maßnahmen wie Anleihekäufe. Entscheidend ist dabei nicht nur der Umfang, sondern auch der Liquiditätseffekt der jeweiligen Maßnahme.

Dem gegenüber steht der autonome Bedarf, der aus dem System abfließende Liquidität misst. Hierzu zählen Bargeldabhebungen, Einlagen des öffentlichen Sektors sowie weitere bilanztechnische Positionen. Diese Faktoren unterliegen keiner aktiven Steuerung durch die EZB und sind deshalb als „autonom“ klassifiziert.

Der dritte Bestandteil ist die aggregierte Mindestreservepflicht, die sich aus den bilanziellen Verbindlichkeiten der Banken ergibt. Sie muss durchschnittlich über eine Erfüllungsperiode eingehalten werden. Zentralbankgeld, das über diese Summe hinausgeht, wird als Überschuss betrachtet – unabhängig davon, ob es verzinst wird.

Die EZB veröffentlicht wöchentliche Schätzungen zur Überschussliquidität, die Marktteilnehmer aufmerksam beobachten. Die Berechnung dient nicht nur der geldpolitischen Analyse, sondern auch der operativen Feinsteuerung des Bankensystems. Je nach Liquiditätslage beeinflusst sie direkt die Nachfrage nach Fazilitäten und somit die kurzfristigen Geldmarktzinsen.

Bedeutung für die Banken

Die Überschussliquidität hat für Geschäftsbanken sowohl operative als auch strategische Bedeutung. Sie beschreibt jenen Teil des Zentralbankgeldes, der über die Mindestreserveverpflichtung hinaus zur Verfügung steht. In Phasen hoher Überschussliquidität verfügen Banken über reichlich Mittel, die sie entweder als Guthaben auf Girokonten oder über die Einlagenfazilität bei der EZB parken können. Dies ermöglicht eine flexible Steuerung des Tagesgeschäfts, insbesondere im Zahlungsverkehr und beim Liquiditätsausgleich zwischen Instituten. Gleichzeitig reduziert ein hohes Überschussniveau die Notwendigkeit, sich kurzfristig am Geldmarkt zu refinanzieren. Das verringert das Gegenparteirisiko und senkt die Interbankenzinsen. In Phasen niedriger Zinsen oder Negativzinsen stellt die Einlage von Überschüssen allerdings eine Belastung dar, da sie Erträge schmälert. Die Entwicklung der Überschussliquidität wirkt sich deshalb unmittelbar auf das Zins- und Liquiditätsmanagement der Banken aus. Sie beeinflusst auch deren Bereitschaft, Kredite zu vergeben oder alternative Anlagemöglichkeiten zu nutzen.

EZB

Für die Europäische Zentralbank hat die Überschussliquidität eine zentrale Bedeutung bei der Umsetzung ihrer geldpolitischen Strategie. Sie zeigt an, wie viel Zentralbankgeld über die Mindestreserve hinaus im Bankensystem verbleibt. Ein hoher Überschuss signalisiert, dass die EZB mehr Liquidität bereitgestellt hat, als aktuell zur Deckung des strukturellen Bedarfs notwendig ist. Dadurch sinken die kurzfristigen Geldmarktzinsen und nähern sich dem Einlagensatz an, der als Untergrenze des geldpolitischen Zinskorridors dient. Die EZB nutzt diesen Mechanismus gezielt zur Steuerung der monetären Bedingungen im Euroraum. Gleichzeitig beeinflusst die Überschussliquidität die Transmission geldpolitischer Impulse auf Banken, Unternehmen und private Haushalte. In Phasen hoher Überschüsse wird deutlich, wie expansiv der geldpolitische Kurs ist.

Die EZB beobachtet deshalb nicht nur die Höhe, sondern auch die Zusammensetzung der Überschussliquidität, um frühzeitig geldpolitische Risiken oder Dysfunktionen im Interbankenmarkt zu erkennen und gegebenenfalls gegenzusteuern.